»Wo haben Sie das Veilchen her?«

Fin strich sich über die Schramme unter seinem immer noch geschwollenen Auge. »Bin gegen einen Türrahmen gelaufen.«

»Wie oft?«

Sie kannte die gängigen Ausreden. Zwecklos, ihr irgendetwas vorzumachen. Er entschied sich für die Wahrheit. »Ich hab’ jemanden getroffen, dem meine Nase nicht gefallen hat.«

»Sieht eher so aus, als ob dieser Jemand Sie getroffen hat. Und nicht bloß die Nase.«

Fin ahnte, dass mit dieser Frau nicht gut Kirschenessen war.

»Sie verkehren in merkwürdigen Kreisen für einen Polizisten, Mr. O’Malley.«

In den Neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, zu einer Zeit, als der Keltische Tiger am Höchsten sprang, kamen vier Geschäftsleute auf die Idee, die Ruine des Landsitzes Puxley Mansion in West-Cork zu einem Luxushotel umzubauen. Sechs Sterne, Luxussuiten, Hubschrauberlandeplatz. Mit einem Investitionsvolumen von sechzig Millionen Euro machte man sich an die Arbeit.

Etwa zehn Jahre später, mit dem Kollaps der Banken, allen voran der Lehman Brothers Bank, versiegte der Geldstrom und der Plan war zum Scheitern verurteilt. Aber er scheiterte eindrucksvoll. Wer heute auf der Beara-Halbinsel durch das kleine Hafenstädtchen Castletownbere fährt und kurz dahinter links durch ein verfallenes Tor zur Küste abbiegt, stößt auf die Ruinen dieses grandiosen Traums.

Hinter einem hohen Bauzaun ragt eine Bauruine geradezu monströs in den irischen Himmel. Der Eröffnungstermin 2009 verstrich, seitdem warten tausende Tonnen von Stein und Glas auf einen neuen Investor. Aus einer alten Ruine wird eine neue Ruine.

Mit der neuen Ruine hat die IRA (Irisch-Republikanische Armee) nichts zu tun, wohl aber mit der alten. Puxley Mansion, der Landsitz aus dem 18. Jahrhundert, wurde im Unabhängigkeitskrieg in den 1920er Jahren von irischen Rebellen niedergebrannt. Wie so viele im Land, die die englische Herrschaft symbolisierten. Mit der endgültigen Unabhängigkeit Irlands 1937 kehrte so etwas wie Frieden ein, aber der Verzicht auf die sechs Provinzen im Norden der Insel, die für immer an den englischen Feind verloren schienen, schmerzte nachhaltig.

Der Konflikt flammte in den Sechziger und Siebziger Jahren wieder auf, als die katholischen Einwohner Nordirlands begannen, ihre Bürgerrechte einzufordern. Der Konflikt, in der irischen Geschichte auch ‚Troubles‘ genannt, eskalierte im Bloody Sunday, als am 30. Januar 1972 während einer Demonstration 13 Katholiken von englischen Soldaten erschossen wurden. Die Zeit danach war geprägt von Bombenanschlägen der katholischen IRA, aber protestantische Organisationen auf der Gegenseite wie UDA (Ulster Defense Association) oder UVF (Ulster Volunteer Force) schlugen mit den gleichen Waffen zurück.

Wenn man in den Neunziger Jahren die Grenze von der Republik Irland nach Nordirland überquerte, fuhr man in einen Hochsicherheitsbereich. Ampelanlagen, Mauern aus Sandsäcken, gekrönt von Stacheldraht.

Etwas weniger Grün drumherum, etwas weniger Regen, dafür wärmer und die Grenzstation hätte auch im Libanon stehen können. Soldaten kontrollieren die Fahrzeuge. Helm, schusssichere Westen, Maschinengewehr. Man hat sofort ein schlechtes Gewissen und hofft, dass man nichts im Kofferraum hat, das den Unmut des Militärs erregen könnte. „You’re from Germany?“ Der Soldat strahlt und radebrecht. „Düsseldorf. Rheinarmee.“ Er sieht aus wie starke sechzehn und ein Glas Milch. Er winkt beim Rausfahren. Wir passieren die Ampel, verlassen den Kessel aus Sandsäcken, fahren an Nagelbrettern vorbei. Und wundern uns, dass wir gerade eine Grenze zwischen zwei Mitgliedern der Europäischen Union überquert haben.

Erst mit dem Karfreitagsabkommen von 1998, in dem die Republik Irland in ihrer Verfassung auf die sechs nordirischen Provinzen verzichtet und die IRA einwilligt, ihre Waffen niederzulegen, kehrt so etwas wie Normalität ein. Seitdem ist der Grenzübertritt problemlos. Dass man in Nordirland ist, bemerkt man eigentlich nur an den Nummernschildern, den Straßenschildern und an einigen Union Jacks, die ewig Gestrige im Vorgarten gehisst haben oder als Statement auf die Bordsteine der Straßen gepinselt haben.

Aber noch immer gibt es vereinzelt Anschläge auf Polizeistationen, werden Menschen auf offener Straße erschossen, Bomben in abgestellten Autos entdeckt oder in einsamen Mooren Waffenlager ausgehoben. Es passiert seltener als früher.

Aber echter Frieden fühlt sich anders an.

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